Die Letzte Nacht
Langsam schlichen wir die Treppe hinunter. Die Treppenstufen knarzten unter unseren Füßen. Mit jedem Schritt, hofften wir, nicht das ganze Schloss aufzuwecken. Als wir unten waren, hielten wir einen Moment inne. Alles war ruhig. Ich sah auf meine Armbanduhr; 23:41 Uhr. Juli drehte sich zu mir um. Ich atmete tief durch und nickte ihr zu. Schließlich ergriff ich die Türklinke und zog die Tür einen Spalt weit auf. Juli spähte hinaus. „Siehst du jemanden?“ fragte ich angespannt. „Nein, sieht so aus als wäre die Luft rein.“ Antwortete sie. „Okay, dann los!“ Ich zählte von 3 runter und stieß die Tür auf. Dann rannten wir. Wir rannten im Licht der Laternen über den Parkplatz, über die taubedeckte Wiese und die kühle Nachtluft zog an mir vorbei. Wir drehten uns nicht um. Wir blieben nicht stehen. Und als wir die Laternen hinter uns gelassen hatten, liefen wir im Dunkeln weiter, bis wir schließlich den Waldrand erreichten. Dort blieben wir stehen.
Ich blickte zurück auf das schlafende Schloss. Es sah friedlich aus. Nirgendwo brannte Licht. Und als ich an die schlafenden Bewohner dachte, wusste ich, dass ich es vermissen würde.
„Komm weiter!“ flüsterte Juli und riss mich aus meinen Gedanken. Sie hatte inzwischen eine Taschenlampe aus ihrem Rucksack hervor geholt und ging zielstrebig tiefer in den Wald hinein. Ich folgte ihr. Jedenfalls versuchte ich es, so gut es ging. Doch da ich keine eigene Taschenlampe besaß und Juli ein beachtliches Tempo drauf hatte, stolperte ich mehr als ich lief. „Hey, kannst du mal nicht so schnell gehen? Ich sehe kaum was!“ beschwerte ich mich. „Musst du jetzt auch nicht mehr. Wir sind da.“ Sagte sie und blieb in der Mitte eines breiten Schotterweges stehen.
Ich sah mich um. Der Boden war übersäht von Zigarettenstummel im Gebüsch lagen leere Kippenschachteln und zerbrochene Glasflaschen von hochprozentigem Alkohol. „Das ist also einer der berüchtigten Raucherplätze.“ Schlussfolgerte ich. „Richtig!“ Nuschelte Juli mit einer Zigarette im Mund. Sie wies mit der Taschenlampe in eine Richtung. „Wenn du dem Weg in diese Richtung folgst, kommst du auch aufs Schulgelände. Von dort müssten auch die anderen kommen. Wir haben eine Abkürzung genommen.“ Sie hielt mir ihre Zigarettenpackung hin. „Auch eine?“ „Nein, danke!“ antwortete ich. „Ach stimmt, du rauchst ja nicht.“ Sagte sie und steckte die Packung wieder ein. „Du hast nicht zufällig trotzdem Feuer, oder?“ „Doch hab ich!“ sagte ich und kramte in meiner Hosentasche nach dem Feuerzeug. „Habe ich heute Nick, dem kleinen unverschämten Fünftklässler abgenommen.“ Ich zündete Julis Zigarette an. „Ah, das tut gut!“ sagt sie und blies mir den Rauch ins Gesicht. Ich hustete und ging einen Schritt zurück. Dann standen wir ein paar Minuten nur still da und starrten in die Dunkelheit, die regelmäßig vom Glimmen der Zigarette erleuchtet wurde. „Schon komisch, dass morgen alles vorbei ist, oder?“ fragte Juli. „Ja.“ Antwortete ich abwesend. „Ich mein, es ist wie immer. Wir verabschieden uns, fahren in die Sommerferien und so weiter. Aber nach den Sommerferien wirst du einfach nicht wiederkommen.“
Sie wollte weiter reden, doch auf einmal blendete uns der Schein von Taschenlampen.
„Hey, da seid ihr ja endlich!“ begrüßte Juli die Anderen. „Wieso hat das so lange gedauert?“ „Martini ist eingeschlafen. Ich musste ihn wieder aufwecken.“ Antwortete Jano. Martini entgegnete: „Jano hat mich zu spät geweckt!“ „Der Nachtwächter stand vor meinem Haus. Ich musste warten, bis er weg war.“ Erklärte Ula. „Ich hab auf Ula gewartet.“ Sagte Conrad. Juli senkte die Taschenlampe. „Ok. Wer hat was zu trinken dabei?“ fragte sie. „Martini, hast du FlipFlops an?“ unterbrach ich Julis Bestandaufnahme. „Ja, alle anderen Schuhe hab ich schon im Koffer, und die Socken auch.“ Antwortete er. Die Anderen verdrehten die Augen. Ich lächelte. Es war so banal. Es war kurz vor Mitternacht und er stand mit T-Shirt, Jogginghose und FlipFlops im Wald. „Ist dir nicht kalt?“ fragte Ula und sprach damit meine Gedanken aus. „Nö, passt schon.“ Sagt er. „Können wir los?“ „Ja, ich würde vorschlagen, wir gehen in Richtung Friedhof. Auf dem Weg dorthin, gibt es eine große Wiese, da können wir uns hinsetzten.“ Erklärte Juli.
Also gingen wir in Richtung Friedhof. Und als wir aus dem Schatten der Bäume traten, erhellte der Mond uns den Weg. Wir schalteten die Taschenlampen aus und setzten uns in die Mitte einer Wegkreuzung. Conrad machte ein kleines Feuer und ich kippt ein wenig Vodka hinein um den Brand zu beschleunigen. Den Rest nahm Juli und vermischte ihn mit Orangensaft. Dann setzten wir uns alle um das Feuer, erzählten uns alte Geschichten und tranken. Und während ich ins Feuer blickte und den Geschichten der Anderen lauschte, wusste ich, dass ich diese letzte Nacht und die Zeit im Internat niemals vergessen würde.
justmelissa am 24. Oktober 15
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2 Kommentare
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Die Geschichte ist schön,es steckt so viel wahrheit darin! :)